Aktuelles
„SINFONISCHES HIGH-END IN INGELHEIM“
Zwischenbericht vom Deutschen Orchesterwettbewerb 2025
von Stephan Höllwerth


Von 14. bis 18. Juni ging im Großraum Mainz/Wiesbaden der vom Deutschen Musikrat ausgerichtete „Deutsche Orchesterwettbewerb 2025“ für Laienensembles über die Bühne. In Vorausscheidungen auf Länderebene wurden in 16 Kategorien die besten Amateurensembles Deutschlands gekürt und nach einer Unterbrechung von 9 (!) coronabedingten Jahren erstmals wieder zu einem bundesweiten Gesamtwettbewerb eingeladen. Unter den Teilnehmern fanden sich so exotische Formationen wie Handglockenchöre oder Mandolinenorchester, aber auch vertraute Besetzungen wie Gitarren-, Akkordeon- und Blasorchester. Eine eigene Sparte bildeten die sogenannten offenen Besetzungen, die Jazz- und die Big-Bands.
Der Bereich der klassischen Orchestermusik wurde in die Kategorien Sinfonieorchester, Jugendsinfonieorchester und Jugendkammerorchester unterteilt. Die Finalrunde ging im kING, dem Kultur- und Kongresszentrum der Mainz vorgelagerten Stadt Ingelheim am Rhein, über die Bühne. Dieser großzügige Neubau beherbergt einen Saal für bis zu 1000 Zuseher und ist, was Akustik, Beleuchtung und Bühnentechnik betrifft, top ausgestattet, sodass der Ablauf vor Ort reibungslos funktionieren konnte. In halbstündigen Kurzauftritten präsentierten sich die Orchester vor einer fünfköpfigen Fachjury aus Musiker:innen und Musikkritiker:innen. Den Auftritten voran gingen jeweils 25-minütige Anspielproben, in denen die Dirigent:innen ihre Musiker:innen mit kleinen Witzchen oder präzisen musikalischen Rückmeldungen auf den bevorstehenden Auftritt vorbereiteten.
Bekanntes, Unerhörtes und Weibliches
Das dargebotene Repertoire fokussierte sich wenig überraschend auf den romantischen Ausschnitt des Kanons, mit zum Teil kleinen Ausreißern in die klassische Moderne. Klassiker wie Haydn oder Beethoven wurden nicht geboten, dafür zahlreiche Werke von Brahms, Dvorak, Grieg, Schumann, Rimsky-Korsakov, Wagner, Mahler, Stravinsky, Schostakowitsch, Bernstein u.a. Punkten konnten demgegenüber jene Ensembles, die abseits der vertrauten Pfade auch Unerhörtes aufs Programm setzten. Ein Ausschnitt aus der „Sinfonie in fis-Moll“ der kroatischen Komponisten Dora Pejacevic (1885-1923) hatte in Verbindung mit der packenden Interpretation wohl wesentlich dazu beigetragen, dass das Sinfonieorchester Collegium Musicum Berlin den Sieg in der Kategorie Sinfonieorchester davontragen konnte. Auch andere Komponistinnen wie die 1858 geborene britische Komponistin Ethel Smyth waren neben Peljacevic mehrfach vertreten. Diese zu begrüßende Beachtung von Komponistinnen setzte sich in der Besetzung der teilnehmenden Orchester fort. Der – geschätzte – Anteil von 70 Prozent weiblicher Spieler legte den Schluss nahe, dass die Zukunft klassischer Orchestermusik in weiblicher Hand läge.
Neue Klänge – Neue Wege
Manche Orchester waren das Wagnis eingegangen, sich von Komponisten aus ihrem Umkreis neue Werke auf den Leib schneidern zu lassen – und hatten damit Erfolg. Pau Beu (geb. 1980) aus Rostock steuerte für das dortige JugendsinfonieOrchester eine gut zu hörende „Legende über Rassmus den Hasen“ bei, der 20-jährige Alexander Kaverinski aus Magdeburg wies sich mit seinem Orchesterstück „Panta rhei“ als vielversprechendes Talent mit Zielrichtung Filmmusik aus.
Die Farbe der Hoffnung und der Teamgeist
In der Sparte Jugendsinfonieorchester wird sicher der Auftritt des ODEON Jugendsinfonieorchester München in Erinnerung bleiben. Nicht nur punkteten die Spieler schon optisch mit ihrer einheitlich frischgrünen „Bauchbinde“, dass sich die Musiker:innen vor dem Auftritt mit einem mehrstimmigen Chorsatz einschworen wie eine Rugby-Mannschaft aufeinander einschworen, sprach Bände. Entsprechend eindrucksvoll gelang dann auch der „Zauberlehrling“ von Paul Dukas, einem hochvirtuosen Orchesterwerk, an dem sich sonst Profiensembles die Zähne ausbeissen.
Sportsgeist und Bier
Schon vor der Juryentscheidung waren mehrere Busse mit aufgekratzten, fröhlichen und erleichterten Musiker:innen heimwärts in alle Himmelsrichtungen Deutschlands aufgebrochen. Die vorzeitige Abfahrt mag damit zusammenhängen, dass die Spieler montags ja wohl wieder die Schulbank würden drücken müssen. Die Gesamtatmosphäre des Wettbewerbs in Ingelheim war prickelnd und anregend. Ein Glücksfall an Kollegialität und Sportsgeist war es, wenn Spieler des einen Orchesters die Darbietung des Konkurrenzensembles spontan bejubelten, weil sie die Leistung der anderen so begeistert hatte. So manches Gespräch zwischen Zuhörern und Musikern förderte Erhellendes zu Tage. Dieser Austausch hätte noch mehr Raum gefunden, wenn die kING-eigene Cafeteria geöffnet gewesen wäre. Dass das Akademische Orchester München, wie es sich für ein bayerisches Orchester gehört, aber ein paar Kisten Bier mitführte, von denen es großzügig abgab, war als „flüssiger Glücksfall“ zu werten.
Kunst und Arbeit
Dass Kunst zwar schön sei, aber viel Arbeit mache, wissen wir seit Karl Valentin alle. Sicher werden diesem Bonmot auch die Mitarbeiter und Teilnehmer des Deutschen Orchesterwettbewerbs 2025 zustimmen. Dass sich diese Arbeit mit der Kunst aber lohnt, dass sie eine Investition in die – musikalische – Zukunft unserer Gesellschaft bedeutet, dass hier auf ganz vielen Ebenen eine hohe Rendite zu erwarten ist, das und vieles mehr ist freilich ebenso wenig umstritten wie die Mühe, die sich alle gegeben haben. Ein großer Dank gebührt neben dem Deutschen Musikrat als Hauptveranstalter allen weiteren Organisatoren und Unterstützern des DOW 2025, die den Musiker:innen und Zuhörer:innen eine prägende und inspirierende Erfahrung ermöglichten, wie sie nicht alle Tage zu haben ist. Auf Wiedersehen beim nächsten Deutschen Orchesterwettbewerb!
www.deutscher-orchesterwettberb.de
