„Mozart und die Opernkomponisten seiner Zeit“

Der äußere Rahmen der Eröffnungsgala bilden sinnreich Ouvertüre und Finale aus Mozarts Singspiel „Der Schauspieldirektor“. Sinnreich deshalb, weil dieses Werk exemplarisch jenes theatralische Spannungsfeld umreißt, innerhalb dessen sich Bühnenkünstler bewegen und zurechtfinden müssen – zu Mozarts Zeit nicht anders als in unserer eigenen. Inmitten dieser programmatischen Klammer schlägt der Opernabend einen Bogen von Mozarts frühen Stücken wie dem Schäferspiel „Il re pastore“ weiter zu der selten gespielten unvollendeten „Zaide“ über den genialen Wurf „Idomeneo“ zu den Meisteropern der Spätphase wie „Die Zauberflöte“ und „Titus“. Vervollständigt wird diese Zusammenschau von Mozarts Vokalwerken noch durch zwei Arien mit jeweils begleitenden Soloinstrumenten.

Mozarts Opernschaffen wird andererseits aber auch ins Verhältnis zu Werken berühmter Zeitgenossen gesetzt. Der eine dieser beiden Wegbegleiter und Wegbereiter ist Christoph Willibald Gluck, dessen Todestag sich 2017 zum 230. Mal jährt. Gluck besaß eine weitreichende Bedeutung für die Operngeschichte. Auf langen Reisen durch Europa hatte er sowohl italienische wie französische Opernformen kennen gelernt. Während insbesondere in den ernsten Opern die oftmals steife Handlung nur als Fassade für zur Schau gestellte Gesangskunst diente, mangelte es den heiteren Opern an neuen Ideen und Figuren. Mit seinen Reformopern wie „Iphigenie in Aulis“ oder „Orpheus und Eurydike“ ging Gluck wieder auf die antike Theatertradition zurück und rückte das Drama und die unmittelbaren menschlichen Gefühle und Charaktere in den Mittelpunkt. Damit bereitete er nicht nur die klassische Oper und damit Mozarts Charakterisierungskunst vor, er wies auch auf Richard Wagner und dessen Konzept des Musikdramas voraus. Musikalisch zeigte sich Glucks klassizistische Tendenz in einfacheren, liedartigen Formen, die dem Wort eigenständigen Raum ließen.

Zwischen Mozart und Gluck gab es biographisch mehrere Berührungspunkte. Eher ein Detail am Rande ist, dass Mozart in seinem „Figaro“ einen Tanz aus Glucks Ballett „Don Juan“ zitiert hat. Auch dass der Sitz der Gluck-Gesamtausgabe heute in Salzburg liegt, ist nicht mehr als eine sympathische Randnotiz. Gewichtiger wiegt da schon, dass beide Komponisten am Ende ihres Lebens in Wien wirkten. Als Mozart 1781 in Wien eintraf, arbeitete Gluck gerade an der deutschen Fassung seiner französischen Oper „Iphigénie en Tauride“. Mozarts gleichfalls deutsches Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ hatte im Juli 1782 eine umjubelte Premiere an eben jenem Wiener Burgtheater, an dem Gluck seit 1774 Intendant der Theatral- und Akademiemusik war. In einem Brief vom 7. August 1782 schreibt Wolfgang Amadeus an Leopold Mozart: „(…) meine Oper ist gestern wieder (…) und zwar auf begehren des glucks (…) gegeben worden. (…) gluck hat mir viele Complimente darüber gemacht. Morgen (…) speise ich bey ihm (…)“. Als Gluck schließlich im November 1787 verstarb, ernannte Kaiser Joseph II. Mozart zu dessen Nachfolger als „kaiserlicher Hofkomponist“. Die Reichenhaller Operngala gedenkt Christoph Willibald Gluck mit Ausschnitten aus seinen Reifewerken „Iphigenie en Tauride“ und „Orpheus und Eurydike“. Eine Entdeckung dürfte allerdings die Arie der Elena „O del mio dolce ardor“ aus Glucks eher unbekannter Oper „Paris und Helena“ werden. Dieses Klagelied kommt in Ausdruck und Gestus in die Nähe von Mozarts Frauenstudien einer Constanze, einer Gräfin und sogar einer Pamina.

Die zweite Lichtquelle, von der aus Mozarts Opernschaffen in dieser Eröffnungsgala beleuchtet wird, geht von Joseph Haydn aus. Mozarts Zeitgenosse wird üblicherweise nicht primär als Opernkomponist wahrgenommen, obwohl Haydn etliche Werke für die Bühne geschaffen hat. Vielleicht kam seine aufrechte Wesensart einer theatralischen Erfindung weniger zu Gute als Mozarts Wandelhaftigkeit. Dass Haydns Opernwerke aber gänzlich anderen Umständen geschuldet waren, hängt mit seiner Tätigkeit auf Schloss Esterhaza zusammen. Zwischen 1776 und 1784 war Haydn nämlich – neben allen übrigen Aufgaben – auch als alleiniger Opernkapellmeister tätig. Haydn musste dort den regional bestimmten und eingeengten Spielbetrieb garantieren und mit den Aufführungen den Geschmack seines Dienstherrn treffen, der heitere Sujets bevorzugte. Immerhin gab es aber zwischen Haydn und dem Opernschaffen seiner Zeitgenossen dadurch wenigstens interpretatorische Berührungspunkte. Klar ist aber auch, dass es bei Haydns Bühnenwerken weder um europaweite Opernreformen wie bei Gluck noch um eine Zuspitzung menschlicher und politischer Konflikte wie bei Mozart gehen konnte. Kompositorische Verbindungen blieben eher am Rande, sieht man einmal von Haydns Vertonung eines schon von Gluck verwendeten Librettos ab („L’incontro improvviso“, 1775). Eine Breitenwirkung über Esterhaza hinaus erlangten Haydns Opern insgesamt nicht, auch wenn etwa seine Goldoni-Vertonungen „L’infedeltà delusa“ (1773) und „Il mondo della luna“ (1777), aus denen in der Operngala Ausschnitte erklingen, zu Perlen in seinem Schaffen gehören.

Will das Motto der Eröffnungsgala „Haydn-Gluck-Mozart“ mehr sein als nur ein wirkungsvolles Schlagwort, so muss es neben biographischen Details auch ästhetische Querverbindungen geben, die das Komponistendreigestirn vereinen. Sehr vereinfachend ließe sich behaupten, dass Mozart Glucks Anspruch auf dramatische Wahrhaftigkeit mit Haydns musikalischer Redlichkeit zu verbinden verstand. Während bei Gluck aus heutiger Sicht der Theatermann mitunter den Musiker überwog, sich dieses Verhältnis bei Haydn aber womöglich umgekehrte, erscheint Mozart als der ideale Seiltänzer zwischen Drama und Vertonung, Wort und Musik. Mozarts Opernschaffen verwirklichte die große Synthese musiktheatralischer Strömungen seiner Zeit. Was ihn dabei zum Opernkomponisten prädestinierte, war bei aller musikalischen Meisterschaft aber die psychologische Durchdringung seiner Figuren. Nicht nur lotete er deren innere Regungen seismographisch aus, er vermochte diese auch virtuos in den melodischen Wendungen und Farben seiner Musik widerzuspiegeln. Weder Gluck noch Haydn haben eine solche Synthese in dieser Strenge vollzogen.