Sinfonie Nr. 1 C-Dur

  1. Satz Allegro vivo
  2. Satz Adagio
  3. Satz Scherzo: Allegro vivace
  4. Satz Allegro vivace

Georges Bizet wurde nur 37 Jahre alt. Als er 1855 mit nur 17 Jahren seine erste Sinfonie schrieb, hatte er beinahe schon seine Lebensmitte erreicht. So gesehen tut man sich schwer, von einem „Frühwerk“ zu sprechen. Bizets Genialität hatte insgesamt nicht so viel Zeit sich zu entfalten, schoss früher in die Reife und zeitigte bereits in jungen Jahren lebensfähige Werke voller Vitalität. Dass die Sinfonie zu Bizets Lebenszeit freilich weder aufgeführt noch gedruckt wurde, steht auf einem anderen Blatt. Bis 1935 sollte es dauern, dass Felix von Weingartner sie aus der Taufe hob.

Viel ist seither darüber gestritten worden, ob es sich nun um eine „Schülerarbeit“, eine „Talentprobe“ oder ein eigenständiges Werk handele. Anleihen sind nicht zu übersehen, das wäre bei einem so jungen, sich gerade in der Ausbildung befindlichen und besonders aufnahmefähigen Musiker ja auch gar nicht anders möglich. Entscheidend für Bizets weitere Entwicklung sind aber weniger die Anleihen, als die Entfaltung seiner eigenen, insbesondere melodischen Begabung. Dass sich Bizet an Haydn, Beethoven, Mendelssohn und Schubert orientierte, macht das Werk zu einer „klassischen Sinfonie“, dass er aber Melodien wie jene für die Oboe im zweiten Satz erfindet, macht sie zu einem typischen Bizet.

Mit viel Brio und ohne Umschweife beginnt das Werk jugendlich im besten Sinn. Nach dem rasanten Initialthema lugt die Oboe etwas schelmisch hinter dem Gartenzaun hervor. Die Verarbeitung dieser beiden Motive folgt den klassischen Prinzipien der Sonatenhauptsatzform. Dunkle Bläserakkorde führen im zweiten Satz in andere Bereiche. Kurze Motive steigen über gezupften Streichern auf, melodische Linien gleiten wie im Segelflug dahin. Ein Fugato mündet in den Beginn zurück. Das Scherzo greift soeben gehörte Melodiken auf, kontrastiert sie im Trio aber mit Bordunquinten wie an Haydns Salomonsinfonie. Im Pseudo-Perpetuum-mobile des Finales erfreut ein charmantes, beinahe Schubertisches Seitenthema.

Was an Bizets erster Sinfonie überrascht, ist neben einer atemberaubenden musikalischen Einfallskraft das außergewöhnliche Verständnis und der souveräne Überblick über die klassische Form. Französische Klarheit paart sich mit einem Gefühl für Proportion und einer Unverbrauchtheit, die zu Herzen geht.

Text: Stephan Höllwerth