Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36

1. Satz Andante sostenuto – Moderato con anima
2. Satz Andantino in modo di canzona
3. Satz Scherzo. Allegro
4. Satz Finale. Allegro con fuoco

Das Jahr 1877 bedeutete in Tschaikowskis Leben einen Wendepunkt. Nicht nur endete seine überstürzte Ehe nach zwei Monaten in Nervenzusammenbruch und Suizidversuch, auch die Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium war ihm unmöglich geworden. Ein Auslandsaufenthalt konnte die angeschlagene psychische Befindlichkeit mehr recht als schlecht ins Lot bringen. Wie mag es für den am Boden zerstörten Komponisten daher gewesen sein, als ihm just in dieser Situation eine Jahrespension von 6000 Rubel angetragen wurde? Nadeshda von Meck, die reiche Witwe eines Eisenbahningenieurs, wollte Tschaikowsky freies Schaffen ermöglichen. Ein davon ausgelöster Briefwechsel zeugt von dem Vertrauen zwischen Wohltäterin und Beschenktem. Dass es zu keinem realen Treffen gekommen ist, verleiht dieser Beziehung weitere Exklusivität. Wie stark Tschaikowsky die Verbindung zu Frau von Meck empfunden haben muss, beweist auch, dass er in Bezug auf seine vierte Sinfonie von „unserem gemeinsamen Kind“ sprach. Sicher schwingt hier viel Dankbarkeit mit: für die Rente natürlich, aber auch für ein seelisches und musikalisches Verständnis, das er bei seiner Kurzzeit-Gattin so schwer vermisst hatte.

Drei Sinfonien hatte Tschaikowsky vor diesem Schicksalsjahr 1877 bereits geschrieben. Erst unter dem Einfluss dieser besonderen Lebensumstände aber hatte er zu jener unverwechselbaren Sprache gefunden, die fortan seine Sinfonik bestimmen sollte: eine Unmittelbarkeit des Ausdrucks in allen Schattierungen zwischen Heftigkeit und Intimität, die die sinfonische Form endgültig zum Schauplatz allergrößter Gefühlskämpfe macht.

Die vierte Sinfonie hat kein vorgefertigtes Programm. Erst nachträglich verfasste der Komponist eine programmatische Skizze, die weniger über den „Inhalt“ des Werkes als über die Befindlichkeit seines Schöpfers Auskunft gibt. Wichtig darin ist immerhin der Hinweis auf das Motiv des „Fatums“, eine düstere Blechbläserfanfare zu Beginn, die an entscheidenden Stellen der übrigen Sätze wieder auftaucht. Dieses Thema ist laut Tschaikowsky Sinnbild für jene Kraft, die „eifersüchtig“ das Leben des Menschen bestimmt und seine Träume und Hoffnungen zerstört. Im vierten Satz, einem lärmenden Jahrmarktsfinale betritt zusätzlich auch das bereits von Balakirew bekannte Lied „Auf dem Feld steht ein Birkenbaum“ die Bühne des Geschehens – bei Tschaikowsky allerdings rasch zu Ausbrüchen höchster Intensität gesteigert. Unbedingte musikalische Originalität besitzen insgesamt die im Walzertakt ausschwingenden Seufzer des Kopfsatzes, das klagende Oboenthema im Liedsatz, das virtuose Wechselspiel der Instrumentengruppen im Scherzo und die unerhörte Klangfülle des Finales.

Mit seiner Vierten Sinfonie tritt uns Tschaikowsky als geborene Sinfoniker entgegen. Ihr Einfallsreichtum, ihre Ausdrucksstärke und ihr Kraftaufwand machen sie zu einem Meilenstein der Musikgeschichte.