Werkbesprechungen

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83

1. Satz Allegro non troppo
2. Satz Allegro appassionato
3. Satz Andante
4. Satz Allegretto grazioso

Mehr als zwei Jahrzehnte sollten vergehen, bevor Brahms sich nach dem Geniestreich seines jugendlichen ersten Klavierkonzerts 1878 ein zweites Mal dieser Gattung zuwandte. Typisch für Brahms mittlerweile etablierten Reifestil ist die konsequente thematische Arbeit mit Abspaltung, Umkehrung und Fortspinnung der Motive. Der Klaviersatz zeichnet sich durch extreme Weitgriffigkeit aus, feingliedrige Arpeggi lassen aber mitunter an Mendelssohn denken. Insgesamt erstaunt die Virtuosität, mit der Brahms den konzertanten Dialog zwischen Solo und Tutti handhabt – von der Virtuosität des Klaviersatzes ganz zu schweigen…

Irgendwie verträumt klingt der einsame Hornruf zu Beginn – ungeheuerlich, dass aus solch zartem Sproß ein so monumentaler erster Satz erwachsen kann. Dass es ausgerechnet das Horn ist, dem Brahms diesen Gedanken anvertraut, ist kein Zufall. Er schätzte den Hornklang ebenso sehr wie seine Kollegen Wagner, Bruckner und Strauss. Dem liedartigen Kopfthema mit seiner charakteristischen Triole und dem emphatischen Septaufschwung antwortet das Klavier zunächst noch verhalten. Schnell findet es aber dramatischer Töne. Das Tutti übernimmt den Hauptgedanken dann schon im strahlenden Forte. Der Seitengedanke in den ersten Violinen ist betont elegisch, ein angedeutetes drittes Thema über einer charakteristischen Sextolenbegleitung wirkt eher episodisch. Immer wieder schöpft die Musik aus rhythmischen Impulsen neue Kraft, wie überhaupt große Teile dieses Satzes betont männlich wirken. Der Orchestersatz ist sinfonisch durchgeformt, verstreute Bläsersoli bilden Ruheinseln im großen Strom. Das Klavier reflektiert und kommentiert das thematische Geschehen als vollkommen gleichwertiger Partner. Wunderbar poetisch ist der Repriseneintritt, wenn nach der vorigen Dramatik das Klavier den Hauptgedanken zart umspielt. Mächtige Klaviertriller kündigen dann das Ende an.

Der zweite Satz zeigt sich als leidenschaftliches Scherzo, ganz aus dem Impetus der Drehbewegung der vier Auftaktachteln lebend. Eine einstimmige Seufzermelodie der Streicher gewinnt als Gegensatz zunehmend an Bedeutung. Dissonierende Vorhalte treiben das Geschehen voran. Der Mittelteil wirkt überraschend zerklüftet: „hüpfende“ Viertel, altertümliche Choralharmonien, dazu abgeschattete Wendungen im Klavier – eine Brahms’sche „Wolfsschlucht“ ohne Worte? Die Reprise kehrt recht massiv zum Hauptgedanken zurück, bevor der Satz noch einmal Fahrt aufnimmt.

Größer könnte der Kontrast zum folgenden Andante nicht sein: Ein einzelnes Cello stellt sich dem Klavier als zusätzlicher Solist zur Seite und stimmt eine verinnerlichte Weise an. Nach dem Klagegesang der Oboe sucht das Klavier nach einer Fortsetzung. Aber erst durch die Vermittlung des Cellos besinnt es sich der anfänglichen Liedmelodie. Intime Dialoge entspinnen sich, während das restliche Orchester zart im Hintergrund verbleibt. Die Rückführung zum ruhigen Anfangsteil nach einer bewegteren Passage gestalten die beiden Klarinetten im Zwiegesang mit dem Soloklavier. Am Höhepunkt erscheint wieder das Cello, diese Mal mit Oboe, Flöte und Klavier in Harmonie. Solche Stellen wirken wie das innige Gespräch zweier Vertrauter, die sich ihr Innerstes offenbaren – vielleicht ein Reflex der lebenslangen Künstlerfreundschaft von Brahms mit Clara Schumann. Wie soll man aus solcher Introversion musikalisch wieder herausfinden? Ganz einfach, im Handumdrehen mit Humor! Heiter und behaglich, ja sorglos gebärdet sich das Finale. Brahms berühmte Terzen und Sexten färben den Seitensatz „ungarisch“. Dann folgt ein drittes, drauflos plapperndes Thema in Klavier und Holzbläsern. Immer wieder greift das Orchester die Bälle des Soloinstruments auf und spielt sie zurück. Wie Brahms es schafft, diese monumentale „Klaviersinfonie“ in völliger Gelöstheit und Ausgelassenheit enden zu lassen, ist absolut bewundernswert. Bei aller Wucht und Schönheit einzelner Stellen gerät das Ganze nie aus dem Blick. Dies vermochte nur einer, der Romantiker und Klassizist in einem war. Selbstredend, dass dieser bei der umjubelten Budapester Uraufführung 1881 natürlich auch noch selbst am Klavier saß.