Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

1.  Satz Un poco sostenuto – Allegro
2.  Satz Andante sostenuto
3. Satz  Un poco Allegretto e grazioso
4. Satz  Adagio – Più Andante – Allegro non troppo, ma con brio – Più Allegro

Beethovens Zehnte – was ist mit diesem Epitheton eigentlich gemeint? Hat Brahms denn Beethoven „kopiert“? Nein, das eben gerade nicht. Der damals bereits über dreißigjährige Komponist war sich seiner Prägung durch Beethoven nur sehr bewusst. Die erste Sinfonie kann geradezu als ein Ringen verstanden werden, diese Faszination zu überwinden. Wo Brahms an Beethoven tatsächlich anschloss – weil es da einfach kein Herumkommen gab -, ist der grundsätzliche Ernst, mit der er die sinfonische Form handhabte. Das, und nicht etwa einzelne motivische Ähnlichkeiten, wie manche Kritiker sich bemüßigt fühlten zu bemängeln, meinte der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick, wenn er die Sinfonie kurz nach ihrem Erscheinen mit Beethoven in Verbindung brachte: „Aus diesem Werke, wenn nicht schon früher, muß wohl jedem Musiker die enge geistige Verwandtschaft Brahms mit Beethoven klar geworden sein.“ Es geht also um geistige Verwandtschaft, nicht um Nachahmung. Brahms verstand wie Beethoven die Sinfonie als die höchste Form von Orchestermusik, an der sich zeigen musste, ob ein Komponist sein Handwerk verstand. Nur aus diesem hohen Anspruch wird verständlich, warum Brahms fünfzehn Jahre feilte, bevor er das Werk den Augen der Öffentlichkeit offenbarte.

Gewichtig ist gleich ihr Beginn: Was an dieser langsamen Einleitung vielleicht zuerst ins Ohr springt, sind die erbarmungslosen Schläge der Pauke, die die Violinen in allerhöchste Höhe treiben. Die abwärtsgleitenden Terzen in den Bläsern kehren dann am Beginn des Allegros wieder. Dessen Hauptthema ist aus einem Takt der Einleitung mit aufwärtsführenden Sechzehnteln entwickelt. Der Satz ist insgesamt hochgespannt, mal mehr von trotziger, dann wieder mehr von euphorischer Energie erfüllt. Die Stimmen sind permanent von Motivbestandteilen und thematischen Anklängen durchzogen – Rückbezüge, die das ganze Gefüge unglaublich dicht erscheinen lassen. Meisterhaft setzt Brahms hier ein, was er an Beethovens thematischer Arbeit gelernt hat. Der Triolenrhythmus treibt das Geschehen immer weiter vorwärts, bis der Satz nach neuerlichem Dreinschlagen der Pauke überraschend in Dur endet.

Die beiden Mittelsätze sind in der Ausdehnung deutlich knapper. Brahms mag gespürt haben, dass die Wucht des Eröffnungssatzes nun eine gewisse Entspannung brauchte und hat die ursprünglichen Versionen massiv gekürzt. Das Andante bricht das bisher vorherrschende c-Moll überraschend nach E-Dur auf. (Übrigens dieselbe Tonartenkonstellation wie in Beethovens drittem Klavierkonzert). Die Anweisung „sostenuto“ („ausgehalten, getragen“) zeugt aber entgegen der aufgehellten Tonart von einem nach wie vor ernsten Tonfall. Die Streicher eröffnen in dichtem Satz, gefolgt von einer breit aussingenden Oboe. Im letzten Abschnitt übernimmt eine Solovioline die Führung. Eher heiter gibt sich der dritte Satz. Ein einfaches Thema in der Klarinette wird gleich in seine Gegenrichtung umgekehrt. Danach bestimmen wieder die aus dem ersten Satz vertrauten fallenden Linien der Holzbläser das Geschehen. Ein zweites Thema mit einem charakteristischen übermäßigen Sekundschritt erweist sich als Episode. Das Trio wechselt die Taktart nach 6/8 und forciert speziell den Klang der Blechbläser. Der Ausklang ist betont ruhig. Dass Brahms vor das Finale erneut eine langsame Einleitung setzt, verstärkt das gewichtige Gepräge der Sinfonie aufs Neue. In mehreren Anläufen ringt sich die Musik zu einem erlösenden Alphornthema durch. Dessen Naturnähe gelingt es, einen optimistischeren Ton anzuschlagen. Ein ernstes Choralthema blitzt kurz auf, bevor der eigentliche Finalsatz mit „largamente“ spielenden Streichern anhebt. Der Seitensatz und erst Recht der Gedanke der Schlussgruppe führen die vorwärtsdrängende Energie weiter. In der Durchführung verdichten sich die Themen, sogar Motive der Einleitung tauchen wieder auf. Die Reprise steuert konsequent auf die Coda zu. Nach einer dramatischen Temposteigerung wird wie aus dem Nichts der Choral der Einleitung zitiert, nun aber im fortissimo. Es klingt, als würde nun ein früher gemachtes Versprechen endlich eingelöst. Uneingeschränkter Jubel bricht sich in den triolischen Streichern Bahn. Ein Kirchenschluss krönt das gewaltige Werk. Ist das nun Beethovens Zehnte? Nein, es ist Brahms Erste!