La Noche de los Mayas („Die Nacht der Mayas“)

1. Satz Noche de los Mayas
2. Satz Noche de Jaranas
3. Satz Noche de Yucatán
4. Satz Noche de encantamiento

Als Silvestre Revueltas 1899 das Licht der Welt erblickte, steckte eine eigenständige südamerikanische Kunstmusik gerade erst in ihren Kinderschuhen. Persönlichkeiten wie Heitor Villa-Lobos, Alberto Ginastera und eben Revueltas war es am Beginn des 20. Jahrhunderts zu verdanken, dass sich Südamerika zusehends seiner Wurzeln bewußt wurde und Brasilien, Argentinien und Mexiko zu einer eigenen musikalischen Sprache fanden. Ausgebildet als Geiger, Dirigent und Komponist in Mexiko City, Austin und Chicago orientierte sich Revueltas, was Thematik und Klangsprache betraf, zusehends an der Folklore seiner Heimat. Diese Einflüsse verband er mit einem musikalischen Temperament, das in seiner Vitalität, Instinktivität und Exzessivität an Mussorgsky gemahnte. So entstanden zündende Werke, die die Hörer packten und hypnotisierten. 1939 destillierte Revueltas aus einer früheren Filmmusik das vierteilige Orchesterwerk „La Noche de los Mayas“. Anders als in Ginasteras gleichfalls folkloristisch inspiriertem Ballet „Estancia“ griff Revueltas darin noch weiter in die Vergangenheit der indigenen Urbevölkerung zurück.

Es sind die vehementen Rhythmen der entfesselten Schlagzeug-Batterie, die in Verbindung mit den dissonanten Klängen der Blechbläser jene dumpf-archaische Atmosphäre erzeugen, die Silvestres Musik für europäische Ohren so spektakulär macht. Donnernde Schläge zerreißen gleich zu Beginn die schwüle Luft, Trompeten stechen wie Blitze hinein. Wir werden Zeuge einer Albtraumfantasie, etwa im Stile einer Opferszene oder eines rituellen Festes. Ganz anders der folgende Tanzsatz: Eine naiv-simple Volksmelodie gerät über wechselnden Metren zunehmend in Ekstase. Das einzige originale Maya-Thema im markanten Fünfton-Aufbau zitiert Revueltas im Folgenden, schwermütig-dunklen Nachtstück. Hart gegen das Griffbrett knallende Saiten der Kontrabässe leiten am Ende ins erregte Finale über. Diese „Nacht der Vergnügungen“ malt der Komponist in besonders dramatischen Pinselstrichen. Die Schlagzeugattacken sind einmal mehr von unerhörter Wildheit. Zu den auch in europäischen Sinfonieorchestern üblichen Instrumenten zog Revueltas damals völlig neuartige Instrumente wie Bongos, Congas, Tom-Toms, Guiro, Rasseln und Muschelhorn (!) hinzu. Der entfachte Rausch sprengt alle Grenzen, wie in Trance dreht sich die Bewegung im Kreis. Dass am Schluss sogar der brütende Stückbeginn wiederkehrt, wirkt fast erzwungen. Diese Nacht will – anders als bei Maxwell Davies – von einem versöhnlichen Sonnenaufgang mit Sicherheit nichts wissen.