Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60

  1. Allegro non tanto
  2. Adagio
  3. Scherzo (Furiant). Presto
  4. Allegro con spirito

Wie beim Klavierkonzert gab es auch auf dem Feld der Sinfonie vor Dvorák kaum nennenswerte Beispiele. Smetana wendete sich ja gleich der sinfonischen Dichtung zu, Dvorák selbst orientierte sich zunächst an Schubert und Schumann, mit denen ihn eine ausgeprägte melodische Begabung verband. Bald wurde aber Brahms Sinfonieschaffen zum alles bestimmenden Vorbild. Im Fall der 6. Sinfonie aus dem Jahre 1880 fällt diese Anlehnung besonders ins Gewicht: Tonarten, Taktbezeichnungen und Satzüberschriften sind beinahe ident mit jenen von Brahms Zweiter. Wie dort klingt Dvoráks erster Satz von Holzbläserpassagen aufgelichtet. Mitunter tauchen motivische Elemente auf, die wir vom Kopfsatz der Eroica (ebenfalls im 3/4-Takt) kennen. Auffällig am Hauptthema ist ein „Gefühlsakzent“ auf einem Septakkord. Kommt hier die tiefe böhmische Seele zum Vorschein? Der zweite Satz legt eine Violinmelodie über eine weiche Synkopenbegleitung, wie es schon Robert Schumann in seiner zweiten Sinfonie getan hat. Der folgende „Furiant“ lebt ganz aus der Kraft der Hemiole, d.h. eines Wechsels zwischen geraden und ungeraden Takten. Das ist unmittelbar aus der Volksmusik genommen und hat Zug und Kraft. Das ausgedehnte Finale vertraut ganz auf die positive Kraft des D-Dur. Der würdige Choral der Blechbläser krönt das gesamte Werk.

Man hat behauptet, dass Dvoráks Sechste einen betont „tschechischen“ Nationalstil verkörpere. Solche Zuschreibungen galten im Zeitalter des Nationalismus als Qualitätskriterium. Mag dem sein, wie es will – auch abgesehen von der Frage, ob Dvorák typische Musik seiner Heimat komponierte oder nicht, kitzelt die Sechste doch mit einer Vielzahl, um nicht zu sagen Überfülle an Einfällen und bildet einen wichtigen Schritt in der Richtung der drei Meistersinfonien, die nun folgen sollten.

 

Text: Dr. Stephan Hölllwerth