Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 „Pastorale“ (I)

1. Satz „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft am Lande“
2. Satz „Szene am Bach“
3. Satz „Lustiges Zusammensein der Landleute“
4. Satz „Gewitter und Sturm“
5. Satz „Hirtengesang – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“

Von Beethoven wird eine übergroße Naturliebe berichtet, ja mehr noch: sein Biograph Anton Schindler beschreibt Beethovens schwärmerische Naturverehrung geradezu als ein mystisches Gefühl der Allverbundenheit. Nur diesem allein sei es zu verdanken, dass ein so tief empfundenes Werk wie die „Pastorale“ das Licht der Welt erblicken konnte: „Auf diesem Wege ist es gekommen, dass der Geist der Natur sich in all seiner Kraft ihm geoffenbart hat und zur Schöpfung eines Werkes befähigt, dem in der gesamten Musik-Literatur kein ähnliches zur Seite gestellt werden kann, zu einem Tongemälde, in welchem Situationen aus dem geselligen Leben in Verbindung mit Szenen aus der Natur vor dem geistigen Auge des Zuhörers gebracht sind: die Pastoral-Sinfonie.“

F-Dur ist seit dem Barock die Tonart für Naturschilderungen, Schäferszenen und Pastorales schlechthin. Für die rechte Einordnung von Beethovens „Natur-Sinfonie“ ist entscheidend, dass der Komponist keine bloße Illustrationsmusik im Sinn hatte. Die Sätze stehen nicht einmal unbedingt in zeitlicher Chronologie und bilden weniger ein äußeres Geschehen ab, als vielmehr jene „Erinnerungen“, die ein empfindsamer Künstler an seinen Landaufenthalt hat (Rudolf Bockholdt). So wird auch schlüssig, was der Komponist mit seinem vielzitierten Ausspruch „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ im Sinn gehabt haben könnte.

Der erste Satz ist ganz jenen „heiteren Gefühlen“ gewidmet, die der Anblick geliebter Naturschönheiten im Betrachter auslöst. Langgezogene Entwicklungen bestimmen das musikalische Geschehen, immer wieder schwillt der Orchesterklang an und ab, so als ob sich dem Betrachter angesichts der zunehmenden Weite der Landschaft die Brust schwellen würde. Man sieht förmlich vor sich, wie inbrünstig er den Landgeruch in sich einsaugt! Der zweite Satz ist mit seinen Imitationen von Nachtigall (Flöte), Wachtel (Oboe) und Kuckuck (Klarinette) die wohl plastischste Schilderung der Symphonie. Zwei Solocelli zeichnen im fließenden 12/8-Takt die kleinen Wellen und das Murmeln des Baches nach. In diesem Idyll lagert sich der Spaziergänger zu Füßen eines Baumes und versinkt in tiefsinniges Betrachten. Der dritte Satz spiegelt die Geselligkeit der Landleute beim ausgelassenem Tanz. Dass die Tanzkapelle Schwierigkeiten mit dem richtigen Einsatz hat (man höre auf das Fagott!), hat Beethoven wie bei einem rustikalen Gemälde Breughels humorvoll eingefangen. Am Höhepunkt der Lustigkeit schwenkt die Szene aber plötzlich ins Unheimliche – auch hier also wie bei Weber ein unvermitteltes Hervorbrechen des dämonischen Naturaspektes. Das Wetter schlägt um, Wind setzt ein, erstes Donnergrollen erschüttert die Bässe, grelle Blitze zucken als gezacktes Viertonmotiv auf, Regen prasselt in den Achtelketten der Violinen nieder, Donnerschläge der Pauke erschüttern Land und Luft. In drei heftigen Anläufen entlädt sich die aufgestaute Spannung, bevor das Gewitter so rasch und spukhaft verschwindet, wie es gekommen ist. Dass Beethoven diesem Elementargeschehen ein einfaches Hirtenthema folgen lässt, ist mehr als nur ein dramaturgischer Kniff zum Zwecke der Kontrastbildung. Der simple diatonische Schallmeien-Ruf, mit dem der Hirt seine Herde sammelt, weitet sich aus und umfasst schließlich alle Instrumente. Für Beethoven ist darin mehr enthalten als nur die Dankbarkeit darüber, einer drohenden Naturkatastrophe entkommen zu sein. Die Dankbarkeit betrifft das menschliche Dasein als solches: Der Mensch weiß sich als lebendiges „Geschöpf Gottes“ und wird von dieser Verbundenheit und Geborgenheit zu einem geradezu „hymnischen“ Dankgesang gedrängt. Hier offenbart sich ein „ozeanisches“ Daseinsgefühl, das weit über das episodische Empfinden eines Sommerfrischlers hinausgeht. Wie heißt es an ähnlicher Stelle in Beethovens Streichquartett a-Moll op. 132, nachdem der Komponist eine mehrwöchige schwere Krankheit überstanden hat? „Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit“ – so oder so ähnlich dürfen wir wohl auch den Dankgesang am Ende der Pastorale auffassen: erfüllt von Ehrfurcht, Andacht und Inbrunst.