Werkbesprechungen

Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 „Pastorale“ (II)

1. Satz Allegro ma non troppo
2. Satz Andante molto moto
3. Satz Allegro
4. Satz Allegro
5. Satz Allegretto

„Pastoral“ ist in der Musikgeschichte ein stehender Begriff. Spätestens seit dem Barock charakterisiert er das „Ländliche“ als idealisierte Gegenwelt zur Welt der Zivilisation. Ja, als „unverdorbenes Idyll“ reicht das Pastorale bis in eine antike, von Naturwesen und Göttern bevölkerte „heile Welt“ zurück, die irgendwie auch an das christliche „Paradies“ erinnert. Dieses Paradies ist aber lange verloren, das Landleben kein Idyll, die Natur kein gottgegebenes Refugium mehr. Ist Beethovens „Pastorale“ bloße Erinnerung an bessere Zeiten? Was fangen wir mit einem Werk über die Naturliebe an, wenn uns die Natur problematisch geworden ist? Sollen wir Beethovens Pastorale im Sinne einer „grünen Sinfonie“als Weckruf und Mahnmal verstehen?

Zieht man die 2020 zu Beethovens 250. Geburtstag der UNO in Betracht (www.pastoralproject.org), so scheint es fast. Professionelle wie nicht professionelle Orchester weltweit wurden eingeladen, ihrer Version der Pastorale zu übermitteln. Die politisch unverfängliche Kunstäußerung eines Genies sollte als Motor für die Klimaziele fungieren, ohne sich dem Vorwurf von Agitation aussetzen zu müssen. Dass ausgerechnet ein aus der Natur stammender Virus dieser Aktion das Wasser abgrub, ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte…

Der Pastorale einen sozialpolitischen oder gar ökologischen Auftrag zu attestieren, hieße andererseits aber Beethovens Absicht fundamental zu verkennen. Beethoven hatte für dieses Werk kein vorgefertigtes „Programm“ – weder ein ästhetisches, noch ein literarisches, noch ein politisches. Das so häufig zitierte Motto „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ zeigt ja, dass es ihm in seinen „Erinnerungen an das Landleben“ um etwas Anderes gegangen ist: um das bestimmte, näher zu beschreibende Verhältnis zwischen Natur und Individuum. Bereits am Beginn der Industrialisierung führt Beethoven uns keine „heile Welt“ vor Augen, als mehr die Sehnsucht danach und er wäre nicht der aufgeklärte Rationalist, der er war, wenn er die Schattenseiten der Natur nicht mitbetrachtet hätte. Nur, dass nach dem Gewitter alles in seinen „natürlichen“ Gang zurückkehrt und nicht in einer Katastrophe endet. Diese Zuversicht fehlt uns Heutigen. Wir, die wir die Natur nicht im idealistischen, sondern eher im ökonomischen Sinn als „Ressource“ begreifen, fehlt diese „Naivität“ – eine Naivität, die zumindest die Qualität von „Ehrfurcht“ besaß und die die Menschen bei Beethoven noch „der Gottheit danken“ ließ. Wie in Haydns „Jahreszeiten“ ist der Mensch „Teil und Freund der Schöpfung“ – nicht ihr Beherrscher, geschweige denn ihr Zerstörer.

Welche Empfindungen sind es nun konkret, die Beethoven in Musik gegossen hat? Zunächst die Wohltat, die die Natur dem Menschen bietet (1. Satz „Angenehme, heiter Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen“), das Eingebettetsein in natürliche Ablaufe von Flora und Fauna (2. Satz „Szene am Bach“), Aufgehobensein in menschlicher Gemeinschaft und Brauchtum (3. Satz „Lustiges Zusammensein der Landleute“), der Schauder angesichts der Naturgewalten (4. Satz „Donner, Sturm) und die Dankbarkeit für die Ordnung im Naturgeschehen (5. Satz „Wohltätige, mit Dank an die Gottheit verbundenen Gefühle nach dem Sturm“). Überblickt man diese seelischen Bezirke, so könnte für uns Heutige gerade die Pastorale in typisch Beethoven’scher Manier „revolutionär“ sein.