Sinfonie Nr. 9 C-Dur op. posth. („Die Große“) I

1.Satz Andante – Allegro ma non troppo
2.Satz Andante con moto
3.Satz Scherzo: Allegro vivace
4.Satz Finale: Allegro vivace

„Wer die Symphonie nicht kennt, kennt noch wenig von Schubert, und dies mag nach dem, was Schubert bereits der Kunst geschenkt, allerdings als ein kaum glaubliches Lob angesehen werden.“ (Robert Schumann über Schuberts C-Dur Sinfonie)

Robert Schumann und Felix Mendelssohn-Bartholdy waren mehr als Kollegen, sie waren Freunde, die sich gegenseitig schätzen und förderten. Insbesondere Mendelssohn versuchte dem lebenspraktisch unbegabten Schumann unter die Arme zu greifen. Es ist eine erstaunliche Koinzidenz, dass beide Musiker zentrale Werke früherer Komponisten erstmals der Öffentlichkeit präsentierten: War es im Falle Mendelssohns Bachs Matthäuspassion, so gab Robert Schumann der musikalischen Welt nichts Geringeres als Franz Schuberts monumentale C-Dur Sinfonie zurück. Diese hatte er nämlich anlässlich einer Wienreise 1839 – er wollte Beethovens und Mozarts Grab besuchen – aus den Händen von Schuberts Bruder Ferdinand persönlich aus dem Nachlass in Empfang genommen. Noch im selben Jahr fand die posthume Uraufführung in Leipzig statt. Und wer dirigierte? Felix Mendelssohn-Bartholdy…

Das Werk war in Schuberts Todesjahr 1828 entstanden. Es ist durch einen für Schubert eher ungewöhnlichen Zug von „Größe“ gekennzeichnet. Der Begriff ist hier auch durchaus wörtlich als zeitliche „Ausdehnung“ zu verstehen. Mit 60 Minuten übertrifft die Sinfonie alle anderen von Schuberts sinfonischen Werken. Womöglich wird darin Schuberts Wunsch erkennbar, sich vom Keulenschlag, den ihm die Uraufführung von Beethovens Neunter versetzt hatte, zu befreien und auch selbst größere sinfonische Dimensionen anzustreben. Das Werk beginnt mit einer langsamen Einleitung, in der das Horn leise mit einem getragenen Thema einsetzt. Das Orchester greift diese Motivik auf und steigert sie bis zum energiegeladenen Hauptsatz konsequent. Dort tritt dann ein wirkungsvoller Gegensatz zwischen punktierten Rhythmen und Triolen in Erscheinung. Im Seitensatz singen Oboen und Fagotte eine typisch melancholische Schubert-Melodie. In der Durchführung kehren die Fanfaren-Motive der Einleitung wieder. Eine Temposteigerung führt zum rasanten Schluss. Das folgende Andante ist eines von Schuberts tiefsten Orchesterstücken. Die Oboe stimmt ihren leicht marschhaften Klagegesang über pochenden Bässen an. Der kontrastierende zweite Gedanke spinnt lange Streicherlinien im Legato fort. Der ausgedehnte Satz folgt dem Gestaltungsprinzip, konsequent Heroisches mit Elegischem abzuwechseln. Der dritte Satz nimmt die Ausgelassenheit von Beethovens Scherzi auf, führt sie allerdings ins Österreichisch-Gemütliche weiter – ein Weg, der zu Anton Bruckner führen wird. Der Satz ist von einem rhythmisch prägnanten Achtelmotiv der Streicher geprägt. Das Trio im entfernten A-Dur beherrscht eine auftrumpfende Holzbläserthematik. Das Finale mit seinen mehr als 1150 Takten ist eine Welt für sich. Es entzündet sich an einem kurzen, auftaktig gestoßenen Motiv. Wie Schubert aus einem derart minimalen Einfall eine Entwicklung von solcher Dichte aufzubauen im Stande ist, grenzt an ein Wunder. Der Gegensatz zwischen Triolen und Punktierungen, der schon den ersten Satz durchdrungen hat, spielt sich im Finale zu einem veritablen Schein-Perpetuum mobile auf. Bis zum Ende lässt die Musik nicht mehr locker. Erst ein vom ganzen Orchester ausgehaltenes „C“ zwingt die überschießende motorische Energie in einen finalen Stillstand.